Ein Herzensengel
Bericht im Magazin Forum vom 25.04.2025 von Thomas Annen
Adrian Schmitz verlor bei einem schweren Unfall sein Augenlicht. Er geriet in ein emotionales Tief, fasste schließlich neuen Mut und baute einen ganz besonderen Verein auf.
Schön, die Sonne scheint“, sagt Adrian Schmitz. Er freut sich über die wärmenden Strahlen, die durchs Wohnzimmerfenster fallen. Neben ihm sitzt seine Frau Astrid. Am 16. September 1991 hat er sie
zum letzten Mal gesehen. Der 63-Jährige sieht auch die Sonnenstrahlen nicht, er spürt sie aber auf der Haut. Adrian Schmitz ist blind. Sein Augenlicht verlor er bei einem schweren Verkehrsunfall.
Der Merziger hat noch viele Bilder von früher im Kopf. Einige von ihnen sind kein bisschen verblasst. Er weiß noch genau, wie seine Frau aussah, als er ihr im Mai 1982 das erste Mal begegnete.
Sie war braungebrannt, ihr schwarzes Kleid reichte bis zu den Knien.
„Es war Liebe auf den ersten Blick“, schwärmt er. Andere Eindrücke fehlen ihm: Er konnte nicht zuschauen, wie seine beiden Kinder groß wurden, die Enkelin hat er nie gesehen.
„Ich rieche die Landschaft“
Sein Handicap schränkt ein, macht aber nicht hilflos. Da alle anderen Sinne bestens funktionieren, meistert Schmitz seinen Alltag gut: Er putzt Gemüse und kocht. Mithilfe eines Sprachprogramms
wird die Arbeit am Computer erledigt. Beim Urlaub auf dem Kreuzfahrtschiff hört er die plätschernden Wellen. Und wenn seine Frau das schmucke Cabrio durch die kurvigen Alpenstraßen lenkt, genießt
der blinde Beifahrer die Natur. „Ich rieche die Landschaft“, versichert Adrian Schmitz. Bei Diskussionen über die Fußball-Bundesliga kann er ebenfalls mitreden. Gern besuchen die Eheleute die
Spiele: Beim Hamburger SV, auf Schalke und im Berliner Olympiastadion haben sie schon mitgefiebert. Die Vereine stellen Kommentatoren, die das Geschehen auf dem Rasen für Sehbehinderte live
beschreiben. Eine solche Audiodeskription gibt es auch bei der inklusiven Kappensitzung, die Schmitz organisiert. Gebärdendolmetscher übersetzen die Büttenreden für die gehörlosen Besucher. „Ohne
Humor geht gar nichts im Leben“, sagt der Fastnachtsfreund.
Sehr ernst nimmt er sein soziales Engagement, Schmitz leitet den Merziger Verein Herzensengel. „Wir helfen unverschuldet in Not geratenen Menschen und behinderten Kindern“, erläutert der
Vorsitzende. Seit der Gründung vor 13 Jahren wurden insgesamt 307 Projekte mit rund 788.000 Euro unterstützt. Allein 2024 hat man Zuschüsse in Höhe von 205.000 Euro verteilt. Mittlerweile kommen
Hilfsanfragen aus ganz Deutschland. Der Verein, erläutert Schmitz, engagiere sich jedoch ausschließlich im Saarland. Das Spektrum der Projekte, die die aktuell 153 Mitglieder fördern, ist breit
gefächert. Mit ihrer Hilfe können kranke oder behinderte Menschen ihr Schicksal besser meistern. Der Verein hat sich zum Beispiel finanziell an einer Delfintherapie, dem Kauf eines
Spezial-Rollstuhls und dem Umbau einer Wohnung beteiligt. Mit einem Einkaufsgutschein unterstützten die Herzensengel Brandopfer, deren Haus in Flammen aufging. Und ein querschnittsgelähmter
junger Mann war überglücklich, als er sich ans Steuer eines behindertengerecht umgebauten Autos setzten konnte.
Der Verein fördert aber auch Projekte von Organisationen, Vereinen und Institutionen, die sich sozial engagieren. Im Sommer vergangenen Jahres ging ein Zuschuss von 3.000 Euro an den Verein
Sterneneltern. Er betreut Väter und Mütter, deren Kinder vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben sind. Und einer Blindenschule wurde ein Patientenlifter gespendet. Das Gerät hebt Kinder
und Jugendliche mit motorischen Problemen aus ihrem Rollstuhl und ermöglicht so ein schonendes Umlagern. Bei vielen Projekten sitzen Kooperationspartner mit im Boot. Ein Beispiel: Gemeinsam mit
einem Supermarkt unterstützten die Herzensengel im Dezember 2024 mehrere Tafeln. Den Kunden der Hilfsorganisationen wurden alle Zutaten für einen weihnachtlichen Festbraten zur Verfügung
gestellt. Und einem Pflegeheim, in dem Menschen mit psychischen Erkrankungen leben, ermöglichen die Herzensengel den Besuch eines Konzerts der Manfred Mann’s Earth Band im Mai 2025.
Sein Traumhaus baute er mit Lego
Adrian Schmitz ist gut vernetzt und immer auf der Suche nach neuen Hilfsmöglichkeiten. Demnächst reist er mit Vorstandskollegen nach Süsel in Schleswig-Holstein, um zu erfahren, wie gehandicapte
Kinder beim gemeinsamen Schwimmen mit Seelöwen therapiert werden können. Die Kosten der Informationsfahrt übernimmt Ministerpräsidentin Anke Rehlinger. Das meiste Geld, das der Verein weitergibt,
hat er vorher durch Spenden eingenommen. Die Hilfsbereitschaft ist groß: Zwei Marmeladenköchinnen verkauften ihre süßen Leckereien für den guten Zweck auf Märkten: 1.600 Euro wurden übergeben.
800 Euro landeten in dem Spenden-Schweinchen, das zugunsten der Herzensengel neben der Kasse eines Dartshops aufgestellt war. Auch Schüler einer Gemeinschaftsschule legten sich mächtig ins Zeug
und organisierten einen Spendenlauf. Am 7. Oktober laden die Herzensengel wieder zu einem Benefizkonzert ein. Dann tritt das Heeresmusikkorps der Bundeswehr im Cloef-Atrium in Orscholz auf. Die
Musiker spielen gratis, der Erlös der Veranstaltung fließt in die Vereinskasse.
Der Vorstand entscheidet, welche Maßnahmen gefördert werden. „Wir prüfen genau“, versichert Adrian Schmitz. Denn vor dreisten Zeitgenossen, die die Hilfsbereitschaft ihrer Mitmenschen ausnutzen,
sind auch die Herzensengel nicht gefeit. Schmitz erzählt von einer Familie, die darum bat, die Kosten für eine 700 Euro teure Brille zu übernehmen. Es stellte sich heraus, dass es sich dabei um
ein Luxusmodell handelte. Dasselbe Glas hätte mit einem einfacheren Gestell nur 150 Euro gekostet. Außerdem verfügte die Familie über eine Versicherung, bei der sie eine Kostenübernahme
beantragen konnte.
Adrian Schmitz ist ein sehr kommunikativer Mensch. Seine offene Art half ihm früher auch im Berufsleben. Mitte der 80er-Jahre kümmerte er sich als Gebietsleiter der Karlsberg-Brauerei um den
Absatz an der Mosel. Die Landschaft war schön, der Job machte Spaß. Die saarländischen Touristen, die im Urlaub nicht auf ihr Lieblingsgetränk verzichten wollten, sorgten auch in der Weinregion
für einen guten Bier-Umsatz. Nach der Wende 1989 erklomm der gelernte Speditionskaufmann die nächste Stufe der Karriereleiter: Mit drei Mitarbeitern begann Schmitz, die Biermarke in Sachsen zu
etablieren. Jedes Wochenende fuhr der Merziger zurück zu seiner Familie ins Saarland. So auch an einem späten Freitagabend im September 1991. Doch diesmal endete die Fahrt bereits nach wenigen
Kilometern. Adrian Schmitz hatte einen Autounfall, er kollidierte mit einem Lastwagen. In Chemnitz wurde der Schwerverletzte operiert und ins künstliche Koma versetzt. Am 23. September 1991 hörte
sein Herz auf zu schlagen. Den Ärzten gelang es, ihn wiederzubeleben. Und anhand eines aktuellen Fotos schafften sie es auch, sein zertrümmertes Gesicht zu rekonstruieren. Nur das Augenlicht, das
er bei dem Unfall verlor, konnten sie ihm nicht wiedergeben.
Als Schmitz realisierte, dass er für immer blind bleibt, fiel er in ein tiefes Loch. Er dachte an Selbstmord. Doch mit der Hilfe seiner Frau fasste er neuen Lebensmut und begann einen Plan
umzusetzen, den er bereits vor dem Unfall gefasst hatte – den Bau eines Eigenheims im Merziger Stadtteil Besseringen. Der blinde Hausherr konnte natürlich nicht selbst mit anpacken. Aber
immerhin: Das Modell des Gebäudes formte er mit seinen Händen. Wenn die beiden Kinder im Bett waren, bastelte das Ehepaar mit Legosteinen an seinem Traumhaus. Der Einzug folgte 1993. Im selben
Jahr fasste Schmitz auch beruflich wieder Fuß, 15 Jahre arbeitete er als Disponent bei einem Taxiunternehmen. 2007 verfolgte er einen Fernsehbericht: Eine Mutter erzählte von ihrem Sohn, der an
einem Gen-Defekt leidet. Eine Delfintherapie würde Dominik helfen, doch die konnte sich die Familie nicht leisten. Schmitz sammelte Geld für den kranken Jungen. Mit Bekannten aus dem
Fitness-Forum stellte er eine Benefiz-Fahrradtour auf die Beine. Adrian Schmitz beschloss, sein Organisationstalent und seine Fähigkeit, Menschen zu vernetzen, dauerhaft in den Dienst der guten
Sache zu stellen. Im Januar 2012 gründete er den Verein Herzensengel. „Wir bedanken uns von Herzen bei allen Spendern“, betont der Vorsitzende.